Die Entmystifizierung des Künstlerinnen-Bildes
Über den Blick der Kinder und das Intime
Ein Interview mit Anne Suttner
Eine Gruppe mit Kindern, Anne Suttner in ihrem mit Farbflecken beschmierten Kittel. Alle fleißig am Malen. In der Pause zwischen ihren zwei Kinderkursen im Wintersemester 2016 hat Hoa Luo die Gelegenheit, im Gespräch mit Anne Suttner über ihre Erfahrungen im Dozieren und ihr Schaffen als Künstlerin zu plaudern.
Anne Suttner deckt viele verschiedene Bereiche ab. Neben dem Kuratieren arbeitet sie auch mit Menschen mit Behinderung, unterrichtet an Gymnasien und leitet Kurse und Workshops, arbeitet an ihrem eigenen künstlerischen Werk und ist nebenbei noch Mutter von zwei Kindern. Sie ist 1971 in Mödling geboren und hat in der Meisterklasse von Prof. Lehmden an der Akademie der bildenden Künste studiert.
H: Ist es in der heutigen Zeit normal für Künstler und Künstlerinnen, ein vielseitiges Leben zu führen und sich nicht z.B. nur auf die Malerei zu konzentrieren und sich auf eine Sache festzulegen?
A: Ich würde mir schwer tun, mich auf eine einzige Angelegenheit im Leben festzulegen. Ich bin sehr froh darüber, so vielseitig zu sein - dafür werde ich aber kritisiert. Ich habe ja auch zwei Kinder. Da hat eine Kollegin von mir gesagt: „ Ach, du bist die mit den Kindern, du bist ja völlig verrückt, das kannst du doch nicht machen, dann kommst du nicht mehr zum Malen.“ Das ist schon ein Kampf, das muss ich wirklich sagen. Natürlich komme ich selten zum Malen, z.B. jetzt in den Weihnachtsferien, da habe ich eben zwei Wochen lang komplett die Kinder. Und dabei Zeit für das Malen frei zu schaufeln ist schwierig. Generell gibt es immer was zu tun. Nur wenn die Kinder in der Schule sind, komme ich ins Atelier. Aber ich bin sehr froh über das Unterrichten. Ich bin ein großer Fan von den Arbeiten der Kinder. Sie haben so eine Stärke und Kraft im Ausdruck. Das ist mein Ideal, das schaffe ich wohl erst mit 80 umzusetzen (lacht). Man muss eben als Erwachsener sein Werk kritisch betrachten und das haben die Kinder noch nicht, die arbeiten direkt drauf los. Und das Ergebnis ist einfach toll!
H: Die Kinder inspirieren dich?
A: Ja, das brauche ich - sonst renne ich im Kreis, dann wäre ich nur mir selbst ausgeliefert, ohne Input von Außen.
H: Die Tendenz in den Bildungseinrichtungen, stringent in eine Richtung zu gehen, sollte eher unterlaufen werden, damit man sich umfassender in anderen Bereichen erweitern kann. Ich habe Dozenten kennen gelernt, die fest an einer Schule angestellt waren und jedes Jahr bekamen sie die gleichen Lehrpläne. Aber geht es nicht um das Geben und Nehmen?
A: Ja, aber in den Schulen habe ich bis zu 30 Kinder und hier ist es eben eine kleine Gruppe. Der Lehrplan kann eintönig sein. Das Lehren selbst ist aber nicht eintönig, weil man mit Menschen arbeitet. Man muss immer präsent sein und den Lehrplan selbst ausfüllen: wie ich das umsetze, kann ich selbst gestalten. Das Problem ist, dass es noch Klassen mit 30 Kindern gibt. Und bei uns hier: die Kinder, die machen das, weil sie das machen müssen, aus einer inneren Notwendigkeit heraus. Und die wollen.
H: Seit wann arbeitest du in der Zeichenfabrik?
A: Von Anfang an, ich bin ein Urgestein. (lacht)
H: Mir fällt es machmal schwer das künstlerische Schaffen mit dem Dozieren zu vereinbaren, so dass die eigene Arbeit nicht vernachlässigt wird. Das ist meine Schwierigkeit, aber da du schon so lang dabei bist, heißt es ja, dass du auch selbst vielleicht einen Weg gefunden hast. Gibt es einen geheimen Tipp?
A: Diese Schwierigkeit habe ich nicht, weil ich mit Kindern arbeite. Es ist anders bei Erwachsenen, die sich manchmal als Konkurrenz sehen. Es beeinflusst sich gegenseitig. Das ist eben ein Problem, wenn man mit Erwachsenen arbeitet, manche haben einfach dieses veraltete Künstlerschema. Das ist sehr schwierig, dieses Bild wieder aus dem Kopf zu bekommen, da kriege ich Aggressionen und weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Wenn der Fokus auf diesem Künstlerbild liegt: der Künstler muss arm sein, um künstlerisch zu produzieren. Das ist für mich veraltet.
H: Dieser Mythos von den alten Künstlerinnen und das Bild des Künstlergenies, das vor allem männlich konnotiert ist. Und das Problem wird für mich größer, weil wir sind Frauen, und wenn wir dazu noch dozieren, passiert es oft, dass wir nicht so ernst genommen werden. Wie kommst du damit zurecht, dass diese Zuschreibung von Außen dich nicht so sehr beeinflusst und wie würdest du es beschreiben, was du siehst, was sich verändert hat. Wie arbeitest und lebst du als Künstlerin in einer Gesellschaft, die nach wie vor - vielfach nicht ausgesprochen und unbewusst, dafür aber umso wirksamer - von einem männlich konnotierten Künstler-Genie-Bild ausgeht?
A: Das ist schwer für mich, den Unterschied zwischen dem, dass ich eine Frau bin und dem Thema selbst, klar zu sehen. Ich habe z.B. letztes Jahr bei der Vienna Art Week teilgenommen - beim Open Studio - und bei dieser Veranstaltung habe ich Bilder ausgestellt von nackten Männern mit einer Erektion. Ist es jetzt das Problem der Darstellung eines nackten Mannes in einer erotischen Pose, was die Betrachter irritiert oder weil ich als Urheberin eine Frau bin?
H: Dieser Diskurs ist sehr spannend, weil er sehr zeitgenössisch ist, z.B. die letzte Ausstellung 2015 im OstLicht von Ren Hang, sehr provokant und direkt. Dennoch ist er ja ein Mann. Das Männliche kommt durch und er wurde ja auch sehr gefeiert und wenn Frauen dies zeigen, ist es ganz anders sexuell konnotiert...
A: Ja, bei meiner Ausstellung kamen dann vor allem die männlichen Stimmen durch, die tatsächlich gemeint hatten, dass da Kinder als Besucher kommen und mich in die Schublade stecken wollten, dass meine Arbeit die Kinder verstören würde. Dabei interessiert Kinder unter 6 Jahren ein unbewegtes Bild eher nicht, und die über 6 jährigen bekommen von ihren Eltern Smartphones, wo sie dann pornographische Filme konsumieren können. Deswegen finde ich das komplett verlogen. In unserer Zeit wird in Filmen für Kinder Gewalt freigegeben, aber die Nacktheit verteufelt. Meine Bildserie war überhaupt nicht mit Gewalt verbunden.
Ich habe dann heuer als Antwort auf den Skandal vom letzten Jahr im Sommer eine Serie gemacht, wo ich mich selbst fotografiert habe, in 6 verschiedenen Bildern. Es ging auch um meine Identität als Künstlerin, aber mit einem humorvollen Augenzwinkern. Das habe ich betitelt mit „Mein Alltag als Künstlerin“. Auf dem ersten Bild bin ich auf dem Bett gelegen, man schläft ewig lang als Künstlerin (lacht) und das nächste Bild ist beim Frühstück. Und beim nächsten sieht man mich beim Lesen, dann sieht man mich malen und im nächsten Bild sieht man mich in einer nackten Pose von hinten und dann ein Bild mit meinem Mann in einer expliziten Pose, humorvoll, aber auch provozierend.
Ausschnitt aus der Malerei-Serie "Mein Tag als Künstlerin"
H: Jetzt können wir ja den Kreis wieder schließen, wir hatten über den Mythos des Künstlers gesprochen und diese Serie entmystifiziert ja das Künstlerbild. Für dich ist das Künstlerinnen-Sein Teil deines Alltags und etwas Privates.
A: Ja, es ist eine intime Sache und es ist natürlich absurd, das in die Öffentlichkeit zu bringen.
H: Genau wie die Ausstellung von dir im Echoraum, wo du kuratiert hast: „Intim“. Was drängt in die Öffentlichkeit und was ist aber wirklich intim und was ist verschachtelt in einer Privatheit. Mit deinen Arbeiten zeigst du aber, „Hey! Schau, ich zeig euch etwas Privates, was ihr privat empfindet, ich selbst finde es aber humorvoll.“
A: Sich nicht so ernst nehmen und sich lustig über sich selbst machen, das finde ich wichtig. Die Kunst, die sich zu ernst nimmt, hat was Lächerliches.
H: Aber genau das Humorvolle ist wichtig in deinen Kursen in der Zeichenfabrik.
A: Ja, hier machen die Kinder nicht alles was ich will, sondern können freier arbeiten, aber in der Schule ist es eben sehr konkret. Und das ist sehr schwierig im Unterschied zu dem Dozieren in der Zeichenfabrik, weil dort muss alles detailliert geplant und durchstrukturiert sein. Die Kinder wollen eben wissen, warum sie eine Eins oder eine Zwei bekommen. Wohingegen in der Zeichenfabrik ist es familiärer und da kann man viel individueller auf die einzelnen Kinder eingehen und dann sind sie sehr viel freier in ihren Entscheidungen und ihren Interessen.
H: Eine Studie zeigt, dass Kinder genau wissen, was sie machen wollen und ihren Interessen gern selbst nachgehen, anstatt von außen Struktur zu kriegen und dies fördert das Gedächtnis und die Eigenmotivation.
A: Kinder sind von allein neugierig und wollen sich vieles selber aneignen, und manche Kinder kommen mit dieser Freiheit gut zurecht. Aber die Anzahl der Schülerinnen in den Klassen ist ja absurd hoch und das müsste sich verändern. Kinder sind doch keine Gefäße, in die man Wissen einfüllt!
H: Und gibt es in deinen Kursen besondere Regeln?
A: (lacht) Bei mir gibt´s eben nicht so viele Regeln. Eigentlich nur drei: Die Kinder müssen in einer angemessenen Lautstärke miteinander reden, dürfen nicht mit den Stühlen herumrollen und kein Kind darf das Kunstwerk des anderen stören! (lacht)
Für das nächste Semester hat Anne Suttner wieder Kinder- und Jugendkurse in der Zeichenfabrik vorbereitet. Im
Kinderkurs sind aktuell noch einige Plätze frei, schaut rein!