Nina Fountedakis – Räume des Seins

Ich treffe Nina Fountedakis beim Kunstmeeting in der Galerie „Die Schöne“, wo KünstlerInnen drei Tage lang miteinander leben und arbeiten. In dem hellen, großen Raum – in dem an Skulpturen, Fotoprojekten und anderen Kunstwerken gearbeitet wird – finde ich Nina fröhlich vertieft in ihr Tun: Drei Stunden lang wird sie bei ihrer Performance an einem Seil aus Gras arbeiten. Die Halme, die sie dafür zu feinen Garnen verarbeitet, haben ähnliche Länge und Dicke – sie duften und gleichen sorgfältig sortiertem Heu. »Dieses Tun ist total meditativ, eine Zelebration des Unspektakulären – was es eigentlich nicht ist, denn, wenn man sich darauf konzentriert, sieht man die Schönheit des Grases, wie es sich im Wind bewegt.«*

Portrait Nina

Werke der Achtsamkeit

Das Arbeiten mit Pflanzen – Hanf, Agave, Buche, Brennnessel –, deren Fasern die Künstlerin zu Garnen verkordelt, um sie mittels eines selbstgemachten Klebers aus Baumharz an Steinen zu befestigen, ist Teil der Objektserie „Werke der Achtsamkeit“: »Mein Zugang ist es mit den Dingen, die mich auf natürliche Weise umgeben, zu arbeiten – sie wertzuschätzen, ganz unabhängig davon, ob sie jemanden etwas nützten.«* Ninas Kunstverständnis ist inspiriert vom Land-Art-Künstler Andy Goldsworthy, dessen Herangehensweise sie fasziniert: »Er lässt sich voll auf die Natur ein, arbeitet mit Achtsamkeit stundenlang an etwas – wenn es bricht, ist er enttäuscht, aber er macht weiter, bis er das subtile Gleichgewicht des Werks und seine Funktionsweise verstanden hat.«* Auch bei Nina geht es um Verstehen und Wahrnehmen – um Qualitäten, die man erfühlen, mit Worten aber kaum beschreiben kann. Die Künstlerin schafft „unspektakuläre“ Räume der Langsamkeit: Räume des Seins, wo Zeit und Raum zu dehnbaren Begriffen werden.

Achtsamkeit
Nina Fountedakis, Arbeit aus "Werke der Achtsamkeit"

Konsum und Langeweile

»Auf meine Arbeit muss man sich einlassen; wenn man das nicht kann, langweilt man sich.«* Nina will weg vom Konsum – auch in der Kunst. Der von ihr und ihrem Partner ins Leben gerufene „Circus Lumineszenz“ eröffnet Räume des Tuns und Gestaltens für Kinder. Die Lichtarbeit erfordert Interaktion – sie kann nicht passiv erlebt werden. Ninas Partner bringt als Komponist das technische Knowhow ein, und sie fügt die Haltung des liebvollen Seins hinzu. Am Lichtspielplatz kann man mit Licht malen, Life-Licht-Shows und Lichträume erzeugen. »Licht trifft einen Nerv; es ist eine neue, besonders für Kinder faszinierende Sprache in der Kunst.«* Die beiden Künstler bringen Instrumente zum Einsatz, die mit Licht gespielt werden, z. B. eine Laserharfe. Sie arbeiten bei Clowns- und Kunstfestivals, am liebsten aber in Sonderschulen mit behinderten Kindern. Anhand von „Gewinnberichten“ messen sie die positiven Veränderungen – oft winzige Kleinigkeiten an Haltung oder Körperspannung.

Das Leben als Lehrmeister

Nina Fountedakis, heute einunddreißig Jahre alt, hat sich immer schon für Kunst interessiert, sich aber absichtlich gegen ein Kunststudium entschieden: »Ich wollte meinen eigenen Weg finden und hatte Angst mich zu verlieren, wenn ich Kunst studiere.«* Nachdem sie im Volksschulalter mit Klavier begann und Komponistin werden wollte, hat sie sich nach der Schule für die Fotoakademie entschieden, Kunsttherapie studiert und eine Kräuterausbildung gemacht. »Das fließt alles in meine künstlerische Arbeit ein; ich studiere beim Leben.«* Lernen heißt für Nina wahrnehmen und begreifen, was rundum passiert. Die Kunsttherapie-Ausbildung hat sie nicht gemacht, um zu therapieren, sondern zum Zwecke der Selbsterfahrung: »Dadurch erreiche ich Ebenen, aus denen heraus ich ganz anders arbeiten kann. Die Ausbildung umfasst alle möglichen Kunstformen sowie das Soziale, das Liebevolle. Die beiden Bereiche sind wie zwei Kreise, die zusammen einen dritten ergeben – aus dieser Überschneidung erwächst mein künstlerisches Schaffen.«*

»Ich habe das Meer und die Sonne in mir.«*

»Ich liebe es zu sein – ich liebe alles Sein. Nicht nur Menschen, sondern auch Pflanzen und Tiere, den Planeten, alles hat einen Wert.«* Nina ist väterlicherseits halbe Griechin, ihre Mutter ist Österreicherin. Nach ersten Jahren unter der griechischen Sonne ist sie in Zell am See aufgewachsen, wo sie landschaftliche Schönheit und Freiheit genossen hat. »Ich wurde zur Selbstverantwortung erzogen; meine Mutter hat mir viel zugetraut und mich wenig bevormundet.«* Sich trauen ist auch ein Credo für Ninas Kurs „Farbenwerkstatt“ an der Zeichenfabrik, wo sie mit Kindern Farbe aus Pflanzen herstellt: Kurkuma für gelb, rote Rüben, Efeu-grün. »Die Farbe ist immer verschieden und hängt von Faktoren wie Erntemoment, Wetterbedingungen, Trockenzeiten ab. Daraus stellen wir beispielsweise Kreiden her.«* Unsere Dozentin liebt es mit Kindern „Sauereien“ zu machen – z. B. mit Farbe gefüllte Ballone auf eine Leinwand zu werfen, nach dem Motto Spielen ist Lernen. Das Feedback der Kinder ist anschaulich – zum Abschluss malen sie unsere Dozentin meist als verrückte Erfinderin. Tatsächlich ist Nina voller Ideen. Archaisches Wissen kommt scheinbar intuitiv zu ihr, oder es stammt aus dem Internet: »Die Dinge sind extrem einfach, man muss nur wissen wie. Wie macht man einen Korb? Wie kann man ohne Strom leben? Oder Kräuterkunde – was kann ich essen, was nicht? Das ist elementares Wissen, das unterrichtet werden sollte.«*

Fuck you Plankton

Zurzeit gibt es mehr Plastikpartikel im Meer als Plankton. Mit der Arbeit „Fuck you Plankton“ thematisiert die Künstlerin die Vermeidung von Plastik und das Recyceln. »Die Wegwerfgesellschaft ist eine wertende Gesellschaft, alles ist plus oder minus. Müll ist minus und kann weg. Er hat aber oft noch Potenzial, wenn man sich darauf einlässt.«* Die riesigen OSB-Platten, die die Künstlerin als Abschluss an der Kunsttherapieschule bemalte, haben sie fasziniert, weil sie Müll waren. Auch den Prozess, die Platten nach Hause ins Atelier zu bringen, fand sie interessant: »Ich sehe gerne, wie die Leute reagieren – wer hilft, wenn man komische Dinge im öffentlichen Raum rumträgt.«*

FuckyouPlankton
Nina Fountedakis, Arbeit aus Fuck you Plankton

Wahrnehmungsspiele

Kreativ sein, spielen mit dem was ist – es wertschätzen und doch die Dinge nicht zu ernst nehmen. »Wir tendieren zu Reizreaktionsdramen, weil wir nicht wissen, wie wir mit unangenehmen Gefühlen umgehen können. Die Strategie Nummer eins ist „Supress“ – man reagiert reflexhaft, ohne das Geschehen wirklich zu begreifen.«* Das bewusste Gestalten ist der Künstlerin wichtig; auch ihre Kunst handelt vom Aktivwerden, vom Sich-zu-helfen-wissen. Ninas Arbeiten fordern die Wahrnehmung heraus; es geht darum präsent zu sein – das was ist, bewusst zu erkennen und damit umzugehen.

Den Ohren nach, dem Licht nach

Heute lebt Nina im Waldviertel, wo sie im Mai zusammen mit ihrem Partner für neun Tage ein Lichtfestival im Naturparkt Block Heide nahe Gmünd veranstaltete. Mit 3000 Besuchern war die Show ein Erfolg. Es wurden Steinriesen und Pflanzen bestrahlt, wodurch die Natur magisch erschien. Das Projekt war nicht direkt interaktiv, aber es taten sich Erfahrungsräume aus Licht und Nebel auf, die es zu durchqueren galt. Zwischen den Steinen positionierten sich Musiker: den Ohren nach, dem Licht nach – als Blickfang erschienen wundersame Leuchtwesen. Ausgangspunkt war das Schutzhaus, wo die Stadtkapelle das Festival eröffnete. »Die Menschen haben sich hingesetzt... ‚Ihr müsst da schon rumspazieren, da gibt es keine Bühne, wo etwas passiert. Ihr müsst teilhaben – entdecken und erfahren.‘«* Den Künstlern war es wichtig, dass der Besuch des Lichtprojekts kostenlos und so für jedermann zugänglich war. Geplant ist mithilfe der Stadt das Projekt auszubauen und weiterzuführen. (S. Titelbild)

Alles ist möglich

Wahrnehmung war auch das Thema in Patagonien (Argentinien), wo Nina einige Zeit in einer künstlerischen Residenz verbrachte. Nahe dem Heimatort ihres Partners arbeitete sie an Objekten der Aufmerksamkeit – dafür verwendete sie Samen aus der patagonischen Steppe. »_Manchmal denke ich: ‚What the fuck am I doing?‘ Dann gibt es wieder Momente, da ist alles völlig klar – in Argentinien war das so.“* Viele Einheimischen kennen ihr Land kaum und wissen nicht, was es dort zu entdecken gibt. »Du öffnest ihnen die Augen, und nachher sagen sie: ‚Ich gehe jetzt ganz anders durch die Welt‘. Dann geht mir das Herz auf.«* Die patagonische Erde ist mit Blut getränkt – der indigene Stamm der Mapuche fiel der Kolonisation zum Opfer. Nina hat einen Wahrnehmungsspaziergang organisiert, der einem ihrer Wiener Projekte ähnelt: »In Wien haben wir auf Pflanzen geachtet, die durch den Asphalt brechen. Minimale Bedingungen – eine Ritze, ein Tropfen Wasser genügen und sie erblühen. Auffälliges und auch Unauffälliges wurde mit Kreide markiert und es wurde in Silence gegangen. Ich dachte, wenn wir 15 Minuten spazieren, das reicht, aber es wurde jedes Mal viel länger.«* In Argentinien wollte die Künstlerin den Menschen eine neue Wahrnehmung für sich selbst und ihre Umgebung geben. »Ich begann mit der inneren Wahrnehmung – mit Atmen und Entspannen. Danach sind die Leute ganz langsam, sehr relaxed, ein bisschen wie Zombies aufgestanden. Jeder Schritt wird bewusst – welche Spur hinterlasse ich? Was drücke ich in den Boden? Die patagonische Erde wurde friedvoll. Es hat eine Stunde gedauert und wir waren vereint – so einfach kann es sein.«*
»Ich habe eine unverbesserliche Optimistin in mir. Ich denke, alles ist möglich. Das Einzige was uns hindert ist, dass wir glauben, etwas sei unmöglich.«* Die Räume des Seins sind auch solche des Experimentierens – aus einer veränderten Wahrnehmung erwachsen ungeahnte Möglichkeiten.

* Zitate Nina Fountedakis
Nina Fountedakis’ Website
Titelbild "Block Heide leuchtet" © Andreas Biedermann