Ana Paola Castro Villegas - Mit Bildern die Welt verändern

Wer in die bunte Welt der Imagination eintauchen will, begibt sich in Ana Castros Kosmos: Das Atelier unserer Dozentin befindet sich im siebenten Bezirk in der Breitegasse über der Werkbank, einem Shop, wo sie auch Arbeiten verkauft. An einem frostigen Morgen führt mich eine Treppe nach oben in ihren Arbeitsraum, und sie empfängt mich mit einer Tasse Tee.

Die Farben Südamerikas

Ana Castro V. kommt aus Bogotá, Kolumbien. Dort sind die Farben klar, stark und intensiv. Ich frage, wie sie als Südamerikanerin mit dem Wiener Klima zurechtkäme, und sie lacht. Auch wenn das Wetter oft grau ist, und die Wiener in Sachen Farbe zurückhaltend sind, leben in Ana die Farben ihrer Bilder. Ihre Arbeit ist eine „safety zone“.

»Ich verwende immer Farbe und meist einen starken Kontrast. Ich bin Südamerikanerin – Pastellfarben passen nicht so gut zu mir.« *

Ursprünglich hat Ana Castro V. Malerei studiert. Heute macht sie vieles: Sie ist Kinderbuch-Illustratorin, hat ihren eigenen Verlag gegründet und betreibt ein Design-Studio. Bei uns in der Zeichenfabrik unterrichtet sie The Silent Book und Die Kunst der Farben.

Eine andere Logik

Nicht nur die Farben, auch der magisch-surrealistische Touch der Bildsprache ist faszinierend. Und auch das erinnert an Südamerika.

»Auf unbewusste Weise bin ich sehr vom „Realismo Mágico“ (magischer Realismus) beeinflusst. Besonders im Hinblick auf die Malerei, aber auch von Gabriel García Márques‘ Erzählungen.« *

In ihrer Masterarbeit beschäftigte sich die Künstlerin intensiv mit kolumbianischer Mythologie: Es gab in Kolumbien bis zu neunzig indigene Kulturen, von denen die meisten aufgrund der Kolonisation nicht überlebten. Diese Menschen haben bzw. hatten eine andere Art von Logik – eine, die für uns unlogisch wäre. Darin kann es etwas völlig ohne Grund geben. In unserer Kultur hingegen ist es wichtig, alles zu begründen.

»Ich finde diese Art zu denken total interessant. Die Strukturen sind so anders – damit spiele ich.« *

Diese andere Denkweise hat in Kolumbien vieles infiltriert: kleine Dinge, Verhalten, Expressionen und natürlich die Kunst. Das ist auch in Ana Castros Arbeit zu sehen. Oft erzeugt sie eine Synthese menschlicher und tierischer Figuren und transportiert damit Gefühle. Sie ist dabei stets bestrebt einen Mittelweg zwischen der realistischen und der piktorial-mystischen Darstellung zu finden. Eine Dosis Realismus ist nötig, um die Menschen zu erreichen – Kommunikation ist das Ziel.

Illustration Ana Castro

So hat es wohl angefangen

Ana Castro V. hatte das Glück 1986 in eine Familie hineingeboren zu werden, in der fast alle Angehörigen in irgendeiner Weise mit Kunst befasst waren. Zusammen mit ihrer Großmutter besuchte sie Zeichenkurse. Als sie zehn Jahre alt war, begann sie mit Aquarell.

»Ich erinnere mich, meine Mutter besaß Mafalda-Comics vom argentinischen Cartoon-Zeichner Quino. Sie waren schwarz-weiß – ich wollte sie bunt und habe sie angemalt. Meine Mutter war entsetzt, denn die Cartoons waren Teil einer Kollektion. So hat es wohl angefangen.« *

Nach ihrem Malerei-Studium in Florenz arbeitete die Künstlerin im Pop-Art-Stil, produzierte großformatige Malereien und stellte aus. Doch die Kunstwelt war nicht Anas Welt – ihren Platz fand sie schließlich in Bologna. 2011 machte sie dort mit der Illustration Bekanntschaft und sie wusste: »Das passt, das will ich machen.« *

Vielschichtigkeit

Die Illustration ist vielschichtig. Man malt nicht nur ein einziges Bild – es geht um eine Geschichte, die transportiert werden will. Es gibt eine Textgeschichte und eine Bildgeschichte, aber auch noch eine Geschichte dazwischen – die eigentliche, gefühlte Geschichte, die aus diesem Spannungsfeld entsteht.

»Es gibt Illustratoren, die sehr präzise sind: Alles wird benannt, da ist wenig Raum für Kreativität. Die Kinder in Kolumbien oder auch in Italien sind anders, sie lernen mehr über Gefühle und verstehen deshalb abstrakte Geschichten besser.« *

Verlage lassen sich leider wenig auf abstrakte, nicht der gängigen Logik entsprechende Geschichten ein. Als unsere Künstlerin ihre Zeichnungen einem österreichischen Verlag präsentierte, meinte dieser, sie seien großartig, aber es gäbe zu viel Phantasie – zu offen, zu viel Spielraum.

Slow Books

Zusammen mit ihrer Schwester, die Literaturwissenschaftlerin ist und in Frankreich lebt, hat Ana Castro nun ihren eigenen Verlag mit dem schönen Namen Taumatropo gegründet.

»Wir erzählen auch mit Papier – mit dessen Haptik, Dicke, Farbe und Schwere. Wir möchten so etwas wie ‚Slow Books‘ machen. Bilder werden heute sehr schnell konsumiert – ständig sind wir am Wischen. Für unsere Bücher muss man sich Zeit nehmen.« *

Die Kompositionen und Geschichten der „Slow Books“ sind für Kinder gedacht, sie funktionieren aber auch für Erwachsene. Die Bücher sind zugleich abstrakt und philosophisch. Es ist nicht sofort klar, was passiert. Das erste von Taumatropo publizierte Buch fängt mit einem Sternenbild an. Es ist wie ein Theater, ein optisches Spiel – man kann eine eigene, immer neue Geschichte entwickeln. Da sind gefaltete Vögel an Fäden, die aus dem Buch rausfliegen können. Man muss sich Zeit nehmen und seiner Phantasie freien Lauf lassen. Es gibt ein „Zoom in“ und ein „Zoom out“: Vom Universum zu den kleinsten Tierchen (Plankton) und wieder zurück – ein Kreis, der sich schließt. Das Buch ist handgedruckt. Es ist haptisch, will berührt werden und lädt zum Spielen ein.

»Die Bücher wurden oft von Erwachsenen als Kunstbuch gekauft. Unsere eigentliche Zielgruppe sind aber Kinder, die sind viel offener – der Kopf ist offen, die Welt ist offen.« *

In die Kategorie der abstrakten Bücher fällt auch „The Silent Book“, das die Künstlerin an der Zeichenfabrik unterrichtet. In diesem Kurs erzählen die Teilnehmer (ihre) Geschichten ohne Worte. Es entstehen kunstvolle Bilderbücher, die mit dem Herzen verstanden werden. „The Silent Book“ will Völker verbinden – geschrieben in der universellen Sprache der Bilder. So findet im Februar im Rahmen des START-Programms, das Jugendlichen mit Emigrationshintergrund eine höhere Schulbildung (Matura) ermöglicht, ein Workshop mit Ana Castro V. „The Silent Book“ statt.

Harmonie und Eiscreme

Es gibt bei Ana Castro V. die Geschichte vom kleinen Mädchen und dem großen Bären: Sie fühlt sich zu klein, er fühlt sich zu groß. Sie messen ihre Größe mit Tüten voller Eiscreme und merken schließlich, dass sie, weil sie verschieden sind, einander helfen können. Die Bildgeschichten der Künstlerin sprechen oft von der Verschiedenheit der Menschen und der Bereicherung, die entsteht, wenn man das Anders-Sein füreinander einsetzt. Dass Unterschiede wertvoll sind, zeigt auch eine andere Geschichte: Eine Figur kann nicht sehen und möchte den Regen, die Sonne mit anderen Sinnen wahrnehmen. Die zweite kann sehen, aber sie kann die Dinge nicht genießen. Gemeinsam lösen sie sich aus ihren Beschränkungen.

Das zweite Thema, das sich wie ein roter Faden durch Ana Paola Castros Arbeit zieht, ist die Harmonie zwischen Mensch und Natur. Getragen wird es von Figuren, die sich einfach und selbstverständlich in einer schönen Welt bewegen. Die Charaktere wissen, was sie wollen und nehmen nur, was sie brauchen. Sie verbreiten Einfachheit und Bescheidenheit – ohne, dass dies etwas mit Nüchternheit zu tun hätte. Zusätzlich strahlt die flache Perspektive, die die Künstlerin verwendet, eine Ruhe aus, die harmonisch wirkt. Ana stößt hier wieder auf die Mythologie, auf Geschichten einer harmonischen Welt als Teil ihrer selbst.

Abgestempelt

Wenn man mit Büchern arbeitet, braucht man eine Drucktechnik. Ana Castro V. hat viele Techniken studiert, sowohl in Bologna als auch im Selbststudium: Sie beherrscht Linoldruck, unterrichtet Siebdruck und kennt sich mit experimentellen Drucktechniken aus. Auch Collagen und Schablonen kommen zum Einsatz. Aber, was ich am meisten liebe, sind ihre Stempel: Die Künstlerin bestempelt Oberflächen mit winzigen Motiven. Man muss genau hinsehen, weil diese mit dem Untergrund wenig kontrastieren. Kinder lieben diese entzückenden Winzigkeiten. Die Stempel sind aus Gummi, die Verarbeitung erfolgt ähnlich wie bei einem Linolschnitt. Wer diese Technik erlernen möchte hat Glück, denn im Kurs „The Silent Book“ zeigt Ana, wie es geht.

Stempel Ana Castro

Estudiopicaflor – probieren, was gefällt

Mit dem Label Estudiopicaflor (Studio Kolibri) geht die Künstlerin mehr in Richtung Design. Es gleicht einer Spielwiese des Ausprobierens von Ideen und Techniken, die sie dann auch für ihre Illustrationen anwenden kann. Sie setzt hier nicht nur ihr Selbststudium in Sachen Buchbinderei, japanischen Papierdruck, Druck- und Stempeltechniken fort, sondern unterrichtet all das auch.

»Ich bin sehr neugierig und sehr geduldig – ich probiere alles. Meine Einfälle und Ideen schreibe ich in Hefte, in Studienbücher. Sie beinhalteten alle Kreativkonzepte, jede kreative Kleinigkeit.« *

Ana Castro
Ana Paola Castro Villegas. Foto © Luisa Paumann

Teilen und weitergeben

Ana Castro V. unterrichtet gerne: Sie sieht das Weitergeben ihres Könnens als Teil ihrer kreativen Entwicklung, als eine Win-Win-Situation.
»Ich unterrichte, aber ich lerne die ganze Zeit. Wenn ich teilen und zugleich verdienen kann, ist das eine wunderbare Sache. Ich gebe gerne meine Ideen weiter – nur teilen funktioniert.« *

Die Welt verändern

In Italien hat sich der Künstlerin die ganze bunte Welt der Illustration eröffnet – ebenso in Frankreich und Spanien. Bei uns in Österreich hat diese Kultur bis jetzt wenig Fuß gefasst: Es gibt keine eigentliche Ausbildung für die Illustration von Kinderbüchern, Privatinitiativen ausgenommen. Dieses Genre wird in Österreich immer noch unterschätzt. Das schafft aber auch Raum – vieles kann sich noch entwickeln.

»Ich möchte die Menschen und ihr Denken erreichen. Ich glaube, man kann mit Zeichnungen die Welt verändern.« *

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