Mangas zeichnen lernen mit Ikuyo Hori
Ikuyo Hori unterrichtet Manga Zeichenkurse, Japanisch und gibt Klavier- und Gesangsstunden. Die ausgebildete Opernsängerin erzählt im Gespräch mit Anne Suttner über ihre Heimat Japan, die kulturellen Unterschiede zu Österreich und worauf es beim Zeichnen von Mangas ankommt.
Anne Suttner: Liebe Frau Hori, Sie kommen aus Japan - wie sind Sie nach Österreich gekommen?
Ikuyo Hori: Ich wollte in Österreich eine Opernsängerin werden. Ich habe ein Opernstudium in Tokio absolviert und konnte in einigen Opernwettbewerben Preise gewinnen. Als ich ganz jung war, hatte ich jedoch einen anderen Traum: eine Mangazeichnerin zu werden! Darum habe ich den Mangakurs eines berühmten Mangaverlages besucht und wurde im anschließenden Wettbewerb für Jugendliche mit dem 3. Platz ausgezeichnet. Nach dem Preisgewinn hat mich die Redaktion eines Verlages kontaktiert und mir angeboten, als Mangazeichnerin mein Debüt zu machen.
In der Zwischenzeit hatte sich mein Ziel jedoch geändert: ich habe damals das erste Mal die Oper in Tokio besucht und eine wunderschöne Opernvorstellung gesehen. Ich war tief beeindruckt - und wurde Opernsängerin. Wäre ich wirklich eine Mangazeicherin geworden, dann wäre ich sicher nicht nach Österreich gekommen.
Ikuyo Hori
Ich habe in Wien in der Opernklasse des Konservatoriums der Stadt Wien (die heutige MUK) studiert und wurde anschließend Mitglied des Staatsopern-Chors. Dort habe viele Jahre gesungen. Gleichzeitig hatte ich zahlreiche Auftritte als Solistin in Europa und Japan. Leider musste ich wegen eines Knieproblemes den Opernchor nach 16 Jahren verlassen. Dann habe ich entschieden, mich meinem zweiten Fach, der Mangazeichnung, zu widmen.
Anne: Welchen Stellenwert haben Mangas in Japan?
Ikuyo: Mangas sind in Japan sehr verbreitet, so gut wie jeder liest sie. Es gibt Mangas für Kinder, Mangas für Jugendliche, Mangas für Erwachsenen und so weiter, für jedes Alter und für jedes Interesse gibt es bestimmte Mangas. Die Themen sind so unterschiedlich wie beim Film: Action, Liebe, Geschichte, Science Fiction, Musik, Sport, Komödie, etc.
Es gibt auch ganz genaue Richtlinien, wie Gesichter von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, von Frauen und Männern, von alten Menschen usw. aussehen müssen. Man kann nicht einfach nach seiner Fantasie zeichnen! Die Hauptfiguren sind immer im Alter der jeweiligen Zielgruppe, sie müssen schön und heldenhaft sein. Die Nebenfiguren hingegen werden ziemlich realistisch gestaltet. Wer sich in Österreich für das Mangazeichnen interessiert, weiß meistens nicht, wie viele verschiedenen Figuren man zeichnen können muss.
In Japan ist die Mangazeichnung „halbrealistisch und übertrieben“. Man sieht das sehr deutlich in der Darstellung des Alters, des Geschlechts und auch in der Mimik der Figuren. Was man hingegen realistisch zeichnen muß, sind Hintergrund, Kleidung, Objekte etc.
Anne: Das klingt sehr aufwändig! Wie entsteht ein Manga, was sind die Arbeitsschritte?
Ikuyo: Der Prozess ist üblicherweise so: 1. ein Thema auswählen und das Konzept schreiben, 2. auftretende Personen entwickeln und skizzieren, 3. den Text schreiben, 4. auf normalem Papier das Storyboard zeichnen, 5. auf Manuskriptpapier die Rohfassung zeichnen und 6. mit Tusche die Reinzeichnung machen und fertigstellen. Man benötigt viel Geduld für das Mangazeichnen!
Anne: Ihre Leidenschaft ist die Mangazeichnung. Was machen Sie außerdem?
Ikuyo: Die Musik! Ich bin immer noch als Musikerin tätig. Wie ich vorhin sagte, wollte ich als Opernsängerin arbeiten. Leider war mein Vater dagegen, dass ich Musikerin werde: Er hat damals alles versucht, mein Studium und meine musikalische Arbeit zu unterbinden. Erst wollte ich nach Tokio zurückkehren, wo ich Operngesang gelernt habe. Eine Freundin riet mir aber, an die Quelle der klassischen Musik zu gehen, und so beschloss ich, nach Europa zu emigrieren.
Anne: Welche Unterschiede zwischen Japan und Österreich fallen Ihnen besonders ins Auge?
Ikuyo: In Japan gibt es eine lange Tradition der Nachahmung. Seit der Zeit der Samurai, als Europa und Amerika neue Technologien entwickelten und sich dadurch von Japan absetzten, musste Japan diesen Entwicklungsunterschied aufholen. Japaner können deshalb gut beobachten und sich vorhandene Techniken aneignen, um diese dann zu perfektionieren.
Ein Beispiel: In Japan gibt es den Shinkansen, diesen Hochgeschwindigkeitszug. Als die Franzosen den TGV entwickelten und die Japaner erfuhren, dass er schneller fahren konnte als der Shinkansen, wurde der Shinkansen weiterentwickelt, damit er der schnellste Hochgeschwindigkeitszug der Welt blieb.
Auch was die Disziplin betrifft, ist das japanische Volk Weltmeister. In der Schule müssen die Schüler selber putzen (nicht nur Klassenzimmer, auch das Lehrerzimmer, den Gang und das WC). Der Lehrer sieht nur zu und überwacht den Erfolg. Vielleicht ist das in Japan übertrieben und zu streng, aber in Österreich gibt es zu wenig Disziplin bei Kindern und Jugendlichen, was sich auf den Lernerfolg auswirkt. Um etwa japanische Schriftzeichen zu erlernen, braucht eine ganze Menge Disziplin! Die japanische Schrift enthält viele Schriftzeichen, die ursprünglich aus der Zeichnung kommen*. Das ist sehr umfangreich und kompliziert und ist ein gutes Beispiel für den Fleiß japanischer Kinder. Umgekehrt fällt es asiatischen Menschen sehr schwer, sich europäische Sprachen anzueignen.
Anne: Sie unterrichten Mangazeichnung, Japanisch und geben Klavier- und Gesangsstunden. Diese Unterschiede in der Disziplin zeigen sich auch in Ihrem Unterricht?
Ikuyo: Ich werde immer wieder aufs Neue überrascht, wie anders sich österreichische Schüler verhalten. Sie hören nicht so genau zu wie japanische Schüler und zeigen im Verhältnis weniger Eifer, das umzusetzen, was ich ihnen sage. Beim Mangazeichnen unterschätzen sie die Wichtigkeit von Regeln: Im Manga hat alles eine fixe Ordnung. Zum Beispiel bei den Augen: Die Augen eines Kindes werden ganz anders dargestellt als die Augen einer Frau. Nur diese sind kugelrund und sehr groß, sie haben Wimpern und die Augenbrauen sind bogenförmig. Die Augen eines Mannes etwa sind länglicher und haben keine Wimpern, die Augenbrauen werden gerade gezeichnet und sie stehen schräg.
Es gelingt nur etwa einem Drittel meiner KursteilnehmerInnen, das alles schnell und so umzusetzen, wie ich es sage - viele brauchen mehr Zeit. Manchmal kann ich die SchülerInnen loben, oft muss ich Geduld haben und darauf bestehen, dass sie meinem Rat folgen.
Die Kinder in Japan zeichnen eine Rohfassung sehr leicht, weil man sie später mit Tusche nachziehen und die Rohfassung wegradieren muss. Oft drücken die Kinder hier zu fest bei der Bleistiftzeichnung auf, dann kann man die Vorzeichnung nicht mehr wegradieren. Ein sehr wichtiger Punkt ist das Arbeitsmaterial: Ich muss immer sehr viele Dinge aus Japan mitnehmen, weil ich nicht alles in Österreich bekommen kann. Leider sind manche Materialien hier qualitativ unbrauchbar. Sogar bei den Radierern gibt es nur eine Sorte,
die wirklich gut für Mangazeichnen zu verwenden ist.
Anne: TeilnehmerInnen Ihrer Kurse sind immer sehr zufrieden und kommen oft mehrmals hintereinander. Vielleicht ist es das, was wir Europäer am dringendsten benötigen: mehr Disziplin! [Frau Hori lacht herzlich.] Was geht Ihnen hier in Österreich am meisten ab?
Ikuyo: Mir fehlen zum Beispiel verschiedene Zeichenmaterialien und Mangas, die nur in Japan erhältlich sind. Und was ich auch immer aus Japan mitbringe sind Kleidung, Pflegeprodukte und Kosmetika. Ich vermisse manchmal die Höflichkeit, die in Japan üblich ist. Manchmal wird diese Höflichkeit aber auch übertreiben: Menschen in Japan können nicht direkt Nein sagen. Deshalb gibt es manchmal Probleme in der Kommunikation und Missverständnisse.
Der Service in Japan ist wirklich erstklassig! Im Flughafen muss ich immer einen Rollstuhl bestellen, da ich wegen meines Knieproblems allein und mit Handgepäck keine weiten Distanzen gehen kann. Aber der Rollstuhl-Assistent hat mir nicht nur innerhalb des Flughafen geholfen, sondern darüber hinaus bis zum Bahnhof. Ich musste dann mehrmals den Zug wechseln, um den Ort einer Konzertprobe zu erreichen. Die Person, die mich dort begleitete, organisierte ungefragt andere Personen, die mich auf meiner weiteren Reise mit dem Zug begleiten konnten, bis ich an meinem Ziel angekommen war. Das ist normal in Japan.
Ansonsten sind sind es gewisse Lebensmittel, die mir fehlen. Es gibt schon ein paar japanische Geschäfte in Wien, aber das leichte und fettfreie Essen, das wir Japaner kochen, fehlt mir sehr. Unser Organismus kann das fett- und zuckerreiche Essen nicht so gut verarbeiten. Japaner essen sehr viel Meeresfrüchte, Gemüse, Wildgemüse, Bohne, Algen und Reis. Als ich einmal in Japan beim Arzt war, stellte er fest, dass mein Blutzuckerspiegel sehr hoch war. Ich versuche also, möglichst selbst japanisches Essen zu kochen, um gesund zu bleiben.
Ikuyo Hori, Illustrationen von japanischen Speisen
Anne: Was halten Sie vom österreichischen Essen?
Ikuyo: Manche Cafés und Restaurants gefallen mir gut. Besonders das Café vom Boesner, dort habe ich einmal einen Schweinebraten gegessen, der nicht fett war und nicht so stark gesalzen. Allgemein muss ich leider sagen, dass das Essen in Österreich oft zu stark gewürzt ist, das vertrage ich nicht gut.
Anne: Frau Hori, ich hätte nie gedacht, dass Sie 61 Jahre alt sind, Sie sehen viel jünger aus! Wie machen Sie das?
Ikuyo: Ich glaube, das Geheimnis liegt darin, dass man als KünstlerIn immer etwas Neues im Kopf hat und stets frische Erfahrungen macht. Auch kann man bis ins hohe Alter arbeiten und muss nicht in Pension gehen.
Anne: Vielen Dank für das Gespräch, es war mir ein Vergnügen!
Kurstipp: Manga Zeichenkurse bei Ikuyo Hori
*Es gibt drei Sorten von Schriftzeichen: Kanji, Hiragama und Katakana. Die Kanji (jap. 漢字) entstammen der chinesischen Schrift und bilden als Logogramme meist den Wortstamm ab. Hiragana (jap. 平仮名 oder ひらがな) und Katakana (jap. 片仮名 oder カタカナ) sind dagegen Silbenschriften. Hiragama sind abgerundeter und etwas einfacher und die japanischen Kinder beginnen mit diesen Zeichen das Schreiben. Im Laufe der Jahre setzte sich jeweils ein einziges Zeichen für jede mögliche japanische Silbe durch. Kinder müßen insgesammt 2,000 Kanji, 48 Hiragana, 48 Katakana und Alphabet lernen! In einem typischen japanischen Satz werden die drei Schriften jeweils für verschiedene Satzelemente verwendet. Nomen stehen typischerweise in Kanji oder in Katakana. Bei den Verben wird nur der Wortstamm in Kanji geschrieben, während die Okurigana, der grammatische Teil, der hinten angehängt wird, in Hiragana steht. Katagama sind zur Darstellung von Begriffen aus dem Ausland, McDonalds beispielsweise wird mit Katakana-Zeichen dargestellt, aber die Aussprache ist stark japanisiert. [Quelle: Wikipedia und Ikuyo Hori]
Ikuyo Horis Name in japanischen Schriftzeichen