Urban Grünfelder - Die Bedeutung der Dinge

Der 1967 in Brixen, Italien geborene Künstler Urban Grünfelder unterrichtet unsere Kurse für Bildhauerei. TeilnehmerInnen erlernen bei ihm das Modellieren und das additive Verfahren im Umgang mit Ton - ausgehend von der menschlichen Figur. Wir sprachen mit Urban in seinem Atelier in der Grundsteingasse über seine Arbeit und Forschung zwischen Malerei und Bildhauerei, über die Symbiose der Formen und den idealisierten Menschen.

Die gemalte Skulptur und die zusammengesetzte Malerei

Urban ist als Maler mit einer Bildsprache aus einem Archiv von plakativen Figuren bekannt, die nicht nur unsere menschliche Existenz widerspiegeln, sondern auch die Diversität der Objekte verkörpern. Körper als Buchstaben und Bilder als Geschichte. Seine Malerei ist zugleich Signifikant durch das Alphabet seiner Figuren und Signifikat einer Gesellschaftsbetrachtung. Für jeweils längere Perioden widmet er sich alternierend der Bildhauerei oder der Malerei. Seit zwei Jahren malt und zeichnet Urban wieder vermehrt.

»Würde man alle Bilder, die ich gemalt habe, nebeneinander sehen, würde man eine Erzählung über die menschliche Existenz haben. Eine Figur ist ein Buchstabe. Ein Buchstabe ergibt ein Wort, ein Satz ergibt eine Geschichte. Wenn ich jetzt 40-50 Jahre diese plakativen Figuren, egal ob Malerei oder Skulptur weiter bearbeite, erzähle ich die Geschichte über den Menschen.« — Urban Grünfelder

Form wird Inhalt: Von Oberflächen und Perfektion

Die Materialeigenschaften korrespondieren mit der äußeren Form seiner plastischen Arbeiten, während die Skulpturen an und in sich als Träger von Bedeutungsinhalten fungieren. Die figurativen Formen nehmen Alltagsobjekte in sich auf und werden dadurch selbst zum Inhalt - mit extremen Gegensätzen: Urban integriert banale Alltagsobjekte in die Perfektion seiner nackten und geschlechtslosen Figuren.

Der perfekte Mann

Alle seine Arbeitsschritte führen zu dieser Perfektion: Bis ins Detail wird modelliert, ausgehöhlt, auseinander geschnitten, zusammengefügt und noch feiner modelliert. Mithilfe von Wasser, Schwamm und Pinsel werden die Oberflächen wie in HD glattgezogen, gebrannt, grundiert und sauber, ja geradezu penibel lackiert. Wo raue auf glatte Oberflächen treffen, wird die Perfektion offenbar und spürbar: das macht Spaß und regt uns zum Nachdenken an!

Die Perfektion schlägt auch die Brücke zu Urbans Malerei. Diese ist geprägt von der Konzentration auf die menschliche Existenz. Ursprünglich stellten Urbans Gemälde plakative, lebensgroße Figuren mit monochromem Hintergrund dar. Die Bearbeitung von Symmetrie führte ihn zu einem standardisierten, prototypischen Menschen, dessen Gesicht niemanden porträtiert. Er ist die Hülle einer symbolhaltigen Anschauung, die ironischerweise auf einen Menschen im Alltag neuartig und irritierend wirkt. Seine Malerei besticht durch ihre Reduktion auf Symmetrie und Perfektion der Figuren. Dabei wird die Figur selbst nur zum Träger unserer Alltagsobjekte, wie z.B. einem Anzug, Maßband oder auch organische Symbole wie Blätter oder Federn.

Gottes Schwimmer

Ikonen und Platzhalter

Malerei beeinflusst Bildhauerei und vice versa. Urban ist nicht ohne seine Skulpturen zu denken, die wiederum als Ikonen in seiner Malerei Verwendung finden. Die archaischen Darstellungen seiner Figuren eröffnen ein erweitertes Denken menschlicher Bilder. Somit sind seine Figuren meist ein organischer Sockel für den Gegenstand der Auseinandersetzung. Seit 25 Jahren bearbeitet er Ausstellungen, die den Menschen als Figur in den Mittelpunkt rücken, zugleich aber das Hinterfragen von Herkunft, Identität und Namen obsolet machen. Es ist egal, woher jemand kommt. Die Figuren als Logo der menschlichen Existenz und Platzhalter für jeden möglichen = denkbaren Menschen. Jeder ist gemeint, jeder kann sich identifizieren.

Der Mensch wird thematisiert und tritt sogleich in den Hintergrund. Zurück bleibt nur eine Erinnerung an einen Menschen, an eine Menschheit. Das ist in Urbans Arbeit stets präsent, denn sein Blick auf die Menschheit nimmt deren Geschichte auf, bewahrt und transformiert sie und setzt kritisch ein neues Bild des Menschen an ihre Stelle. Wichtig dabei ist ihm, dass die Haltung einer jeden Figur gleichzeitig eine Geisteshaltung bedeutet. Mittlerweile hat Urban seine Malerei in eine verstärkt romantische, mystische Richtung entwickelt.

Konsistent durch alle Stadien von Urbans künstlerischer Entwicklung hindurch ist der monochrome Hintergrund, der seine Sujets losgelöst in den Raum schweben oder fallen lässt. Dieser Schicksalsraum hält dem Betrachter einen Spiegel vor. Der konzeptuelle Ansatz von Urban umkreist und vereinigt nicht nur Menschen und deren Beziehungen zu ihrer Umwelt, sondern bewirkt im Prozess der Rezeption einen Moment des Erstaunens und ein neues Arrangement der Wirklichkeit.

Es einfach machen

Urban versetzt uns durch seine Fragestellungen und Antworten in einen leeren Raum, in dem wir selbst zum Platzhalter oder zur Projektionsfläche werden. Seine akribische Suche mündet in Bildern, die auch in uns Fragen nach Bedeutung, Identität und Sinn aufwerfen. Ein gutes Konzept schenkt letztendlich die Freiheit, einfach zu machen. Urban stellt uns Fragen nach der Menschheit, nach dem Individuum, nach Geschichte und politischen Ereignissen und erzeugt ein Auflehnen, eine neue Ordnung der Dinge in einer komplexen Welt. In seinen Figuren-Landschaften trifft Poesie auf Ironie und mit einem Augenzwinkern verabschiedet er uns mit einer kleinen Lebensweisheit:

»Die Freude das zu machen und an sich selbst zu arbeiten, ist es. Wer sagt mir was ich zu tun habe? Gibt es Gott? Wir verstehen gar nichts, es ist egal ob wir was machen, man macht’s einfach. Wenn man das findet, was Spaß macht, dann hat man das Leben gewonnen.« — Urban Grünfelder

Krückenfresser

Mehr zu Urban erfahrt ihr auf seiner Website oder im Interview von Madame Wien.