Viktoria Popova - Malen wie Klavierspielen
So wie ein Ton nicht mehr zurückgeholt werden kann und ein Musiker jede Note hört, bevor er sie ins Außen entlässt, bewegen sich Viktoria Popovas Linien sicher und elegant auf die Idee zu, die sie umsetzen möchte: »Ich muss nicht herumprobieren, etwas übermalen oder neu beginnen. Ich habe das fertige Werk im Kopf – und so verwirkliche ich es auch«* erzählt mir die Künstlerin in ihrem geräumigen Atelier im WUK.
Viktoria Popova war als eine der ersten Dozentinnen an der Zeichenfabrik von Anfang an mit dabei. Aktuell unterrichtet sie diverse Kurse zum Thema Aktzeichnung. Das Besondere ist, dass es in ihren Kursen immer ein echtes Modell gibt – ihre Teilnehmer können so anschaulich mit Bewegung, Licht und Schatten arbeiten.
Verflochten, verknotet, verbunden
Dass sich die Künstlerin mit Anatomie beschäftigt, zeigt sich auch in ihrem Atelier. Auf weißer Leinwand formieren sich organische Strukturen in Pastellkreide, Sepia und Kohle – eigenwillige Anatomien oder Akte im weiteren Sinne: Es könnten Muskelstränge, Körper- und/oder Pflanzenteile, Wurzeln oder Fasern sein, die zu phantasievollen Gebilden verwachsen. Was es ist, ist aber nicht ausschlaggebend, denn der Künstlerin geht es um das Wie der Verbindungen, der Verzweigungen, des Verwoben-Seins – um Wachstum und Bewegung.
An einer anderen Wand hängen Zeichnungen, die in ihrer Ausführung – Rötel, Kohle, Kreide – an das Gesehene erinnern, jedoch keine muskelartigen Strukturen, sondern Rohre einer Fabrik zum Thema haben. Auch sie verflechten, verknoten und verselbständigen sich zu knäuelartigen, organisch wirkenden Artefakten. »Anlässlich eines Fotofestivals reiste ich zu einer Kohleverbrennungsanlage nach Ostrava, Tschechien. Ich bin in der Nacht angekommen und habe nur ein paar Lichter gesehen. Am nächsten Morgen erblickte ich diese faszinierende Fabrik: Ich war sofort inspiriert und habe Fotos und Skizzen gemacht.«*
„Ostrava“, 2017, Digitalfoto, Rötel, Kohle, Pastellkreide auf Papier
Viktoria Popova geht von Fotos aus, die einen bestimmten Bereich der Anlage zeigen, den sie zeichnerisch ergänzt, indem sie die Strukturen nach eigener Vorstellung weiterführt. Der Hintergrund ist ausgelassen bzw. weiß. Hier würden Rahmen stören; Viktoria befreit ihre Bilder – sie hängen rahmenlos und leicht.
Ursprünge
Viktoria Popova stammt aus St. Petersburg. Sie hatte das Glück, ein Gymnasium für bildende Kunst besuchen zu können und sich mit Musik zu beschäftigen. Auch die folgenden Jahre (1985-1991) auf der Akademie der Bildenden Künste in St. Petersburg hat Viktoria in bester Erinnerung.
Ihre Abschussarbeit an der Uni führte unsere Dozentin in das Altaigebirge an der Grenze zur Mongolei: »Wir haben wild gelebt; in Hirten-Hütten gewohnt und in eiskalten Flüssen gebadet. Die Naturlandschaften und Menschen haben mich sehr inspiriert.«* Die Farblithographie-Serie, die sie aus den gesammelten Eindrücken und Aufzeichnungen zum Thema Musik und Landschaft realisierte, zeigen wunderschöne Farbverläufe; die Handschrift der Künstlerin ist bereits erkennbar.
Mir muss es gefallen
Im Rahmen eines Austauschprogramms ging Viktoria nach Wien, um bei Maria Lassnig – der sie sich aufgrund des gegenständlichen Zugangs nahe fühlte – zu studieren. Genau in diesem Jahr aber ging Maria Lassnig in Pension, und die Klasse wurde von Christian Ludwig Attersee übernommen.
Weil sie ihre Kunst zeigen wollte, hat sich Viktoria Popova bald nach einer Galerie umgesehen. Prämisse war, dass ihr die ausgestellte Kunst selbst gefallen muss. Schließlich ist sie mit der heute nicht mehr existierenden Galerie Serafin fündig geworden. Dort hat sie unter anderem mit Martha Jungwirth, Peter Pongratz und Franz Hubmann ausgestellt. »Es ist wunderbar, wenn man gut ankommt – das zu erleben, wünsche ich jedem Künstler.«*
Die bunte Kulisse Mexikos
Expressiv und figurativ – kontrastreiche, oft komplementäre Farben – indigener Touch – konnotativ und symbolisch –, so könnte man das künstlerische Schaffen umreißen, welches mit Viktoria Popovas Aufenthalt in Süd-Kalifornien (St. Diego) einhergeht.
In Ölfarbe – oft pastös mit Lichtern in Weiß –, malte sie in leuchtenden Farben Menschen und Tiere mit ausdrucksstarken Gesichtern, aber auch Phantasiewesen. Häufig mischte sie Sand ins Malmittel. Der Hintergrund ist kontrastreich, hebt die Figuren hervor – manchmal verschwindet er, da die verwendeten Motive und Symbole nicht selten direkt aneinander anschließen. Die Perspektive tritt zugunsten der Expressivität und der Anordnung der Formen zurück.
„Stierkampf“, 1995, Öl, Sand auf Leinwand
Die Künstlerin stellt die Vielschichtigkeit und Intensität ihrer Erlebnisse dar – nicht allein das Sichtbare, sondern alles, was mitschwingt –, die gefühlte Reichhaltigkeit dessen, was die Dinge und Geschehnisse auf verschiedenen Ebenen bedeuten. Um Konnotationen herzustellen, arbeitet Viktoria mit kulturellen, oft indigenen Symbolen. Die Bilder haben auch etwas Dekoratives, Bühnenhaftes: Mexiko als bunte Kulisse voller Geschehnisse. Die Fragmente beinhalten Botschaften, die in Zusammenhang gesetzt werden, wobei ihre Anordnung eine übergeordnete Bedeutung entstehen lässt.
Die Künstlerin blättert in einem Skizzenbuch von damals: »So sieht es in Tijuana aus, an der Grenze zu Mexiko… das war unsere Wohnung inmitten von Eukalyptusbäumen etwas außerhalb von St. Diego… hier Leute beim Umziehen… ein Urlaub in Alaska …«*
„Die Holzstadt“, 1996, Tusche, Feder auf Papier
Eigene Wege
Zurück in Wien zog es Viktoria nicht mehr auf die Angewandte – sie ließ sich ihr russisches Diplom anrechnen und ging ihre eigenen Wege. Einer davon führte nach Finnland, wo sie lange Zeit als Gastlektorin an einer polytechnischen Universität Zeichnen und Malen unterrichtete. Daneben hat sie freilich immer weitergemalt – sehr bunt mit Sand und Stoffen, die sie in ihre Arbeiten integrierte. Ich staune über ein Bild mit Fabelwesen, einem Tanz von Schmetterlingen besonderer Art. In dieser Zeit hat sich die Künstlerin auch mit weniger bekannten Techniken wie dem Foto-Polymer beschäftigt und einige Bücher illustriert – die verwendeten Farben und Motive verraten wiederum die Einflüsse Mexikos.
Der Aufstand der Natur
»Der Wind hatte riesige Eisschollen an die Ufer geworfen, eine kilometerlange Wand war entstanden bei Temperaturen um -30°C. Die Sonne hat den Eisschollen Glanz und Farbe verliehen; es sah unwahrscheinlich mächtig aus.«* Dieses Schauspiel war wie der Protest der Natur gegen den Bau eines neunen Hafens bei St. Petersburg und die damit einhergehende Meerestrockenlegung. Um das innere Bild dieses Szenarios darzustellen, ging sie von kleinen Ausschnitten der Fotos aus, die sie an diesem Tag gemacht hatte, und zeichnete der eigenen Vorstellung entsprechend nach außen. Sie verband Foto und Zeichnung und verlängerte das Bild mit ihrer eigenen stimmungsvollen Interpretation des Geschehens (s. Titelbild: „Eisschollen“).
Inspiration
»Zeichnen, Malen Arbeiten – das bin immer ich. Ich denke über das Erlebte nach und analysiere die Eindrücke. Dann kommt das Bild zu mir.«* Für unsere Dozentin wird Kunst aus der Verbindung von Inspiration und innerer Interpretation – was die Eindrücke in ihr bewegen – geboren. Die äußeren Bilder hält Viktoria durch schnelle Skizzen oder bloßer Besichtigung fest, gemalt wird hier, in ihrem Atelier.
Viktoria Popova vergleicht das künstlerische Schaffen mit Klavierspielen: »Zuerst geht alles langsam, dann immer leichter und schneller.«* Wenn das Medium – malen, zeichnen, Klavier spielen – und der Inhalt bzw. die Idee verschmelzen, wird das Spiel mühelos, fröhlich, virtuos.
* Zitate von Viktoria Popova
Titelbild: „Eisschollen“, 1998, Analogfoto, Acryl, Kreide auf Papier
Links:
Viktoria Popovas Website
Viktoria Popovas Kurse an der Zeichenfabrik